Mut

Jakob Mann

Jakob Mann, geboren 1902, war nicht nur Sozialdemokrat und mein Opa, nein, er war vor allem ein außergewöhnlicher Mensch.

Jakob Mann mit Sohn
Jakob Mann

Ich habe ihn kaum kennen gelernt, denn er starb an Krebs, da war ich gerade mal 9 Jahre alt.

Damals, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte noch nicht jeder ein Auto. Meine Eltern zum Beispiel brauchten Zeit ihres Lebens keines.

Na und Opa und Oma erst recht nicht. Es war immer ein rechter Aufwand für die beiden, wenn sie zu Geburtstagen ihr „Hadderschm“ (Hattersheim) per Bahn verlassen mussten. Gespielt hat er trotzdem nicht mit mir. Er war für mich eher düster.

So manches Mal hat er sich demonstrativ weggesetzt, hat sich umgedreht und hat nur die Vögel im Futterkasten auf dem Balkon angeschaut, wenn sich der Rest der Familie über die Nichtigkeiten der Welt, wie Klamotten, Autos oder Fernseh-Shows unterhalten hat.

In den fünfziger oder sechziger Jahren – so genau wurde das nie erzählt – war Jakob Mann Hauptschöffe am Gericht in Frankfurt. Der Hauptschöffe ist so etwas, wie der Wichtigste der Geschworenen, der sogar nach seiner Meinung gefragt wird.

Es ging um einen Fall, bei dem drei Jugendliche von 16 Jahren ein paar Äpfel geklaut hatten. Der junge Staatsanwalt, der noch Karriere machen wollte, hatte in geschliffener Rede den Anwalt der Jungens längst in den Schatten gestellt und forderte gerade die Höchststrafe – immerhin zwei Jahre Jugendhaft –, als der Richter fragte: „Herr Mann, was meinen Sie?“

Dann kam Jakob Manns großer Auftritt:

„Herr Richter“, sagte er in anfänglich ruhigem Ton, „ich meine, diese jungen Menschen gehören bestraft…“, von da an steigerte sich seine Stimme bis zum Ende seines kurzen, heftigen Monologs: „…die gehören hart bestraft, härter als es der Staatsanwalt fordert… viel, viel härter noch als die Generäle, die genau solche Jungens zu hunderttausenden in den Tod geschickt haben! Viel härter!“

Alle wurden freigesprochen! – Was aus der Karriere des Staatsanwalts wurde, ist nicht überliefert.

Jakob Mann hatte seine „Karriere“ bereits im Alter von 43 Jahren lebensbedrohlich geopfert. Das kam so:

Jakob Mann war Arbeiter beim Gaswerk. 1944 hatten er und sein „Käthsche“ (Katharina, die übrigens 2 Jahre älter war als er) bereits vier Kinder.

Da das Gaswerk wichtig für die Heimatfront war, schaffte es aber Jacobs Vorgesetzter ein Kriegsjahr ums andere den „Herrn Mann“, als nicht abkömmlich vorm Soldatsein zu schützen.

Doch als es Ende 1944 immer offensichtlicher wurde, dass die Alliierten Deutschland im Griff hatten und noch mehr deutsche Soldaten gebraucht würden, da drängte der ortsansässige Goldfasan – nein kein Vogel, sondern der Spitzname für den Träger einer Parteiuniform in Braun und Gold – also der Ortsgruppenleiter der Partei und nebenbei Bürgermeister immer stärker, den Jakob Mann endlich für seine „vaterländische Pflicht“ freizugeben, sonst …

Eine Drohung musste so ein Parteibonze damals gar nicht aussprechen. Es genügte ihm, eine Drohung anzudeuten. Schon hatten die Menschen Angst. Immerhin hat der Chef von meinem Opa Jakob denselben noch rechtzeitig gewarnt: „Herr Mann, ich kann sie nicht länger beschützen. Ich fürchte, beim nächsten Mal wird der Ortsvorsteher mit Polizei wiederkommen und sie zum Militär pressen!“

Es war bereits Winter.

Im Gaswerk musste Holz gemacht werden: Äste abgeschnitten, Reisig gesammelt und der ein oder andere morsche Baum auf dem Gelände umgehackt werden, bevor ihn ein Sturm auf ein Gebäude wirft.

„Umgehackt“ sage ich, weil es keine Motorsäge gab. Es ging noch mit Axt, Säge und Spaltkeil zu.

Ein Baum fiel, mein Opa sprang – unter den Baum! Das Knie war kaputt. Dieser Arbeitsunfall rettete meinem Opa das Leben, denn er musste nun nicht mehr an die Front in den Krieg. Und seine Frau von 44 Jahren war in der Nachkriegszeit nicht mit den vier Kindern allein.

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